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Wenn ich mir manche Leserzuschrift genauer anschaue, insbesondere jene zur Interpretation des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, dann spüre ich mitunter den ‚Atem der Geschichte‘. Denn manch ein ehemaliger DDR-Propagandist scheint zu meinen, seine Stunde sei (endlich) gekommen. Die ach so bedrohte Sowjetmacht – oh, Entschuldigung, es handelt sich ja um Russland – also, das in seiner Sicherheit bedrohte Russland, muss ganz sicher Städte ausradieren wie in Tschetschenien, wie in Syrien, wie all überall. Dies sieht das Sicherheitsbedürfnis des Putin-Systems eben vor. Alles klar, oder hat noch jemand Fragen? Warum klagt überhaupt der ‚Westen‘, hat er es doch selbst immer so gemacht, oder? Allerdings mit einem gewaltige, mit dem Unterschied: Die ‚Untaten‘ des Westens wurden als solche benannt – und zwar (auch) im ‚Westen‘! Lügen kamen immer ‘raus, ob in Vietnam, im Irak, in Afghanistan oder sonst wo. Im Russland Putins setzt die Staatspropaganda nur Putins Meinung den Lesern, Hörern und Zuschauern vor. Mir scheint, der heutige Machthaber im Kreml war Primus in der KGB-Ausbildung. Denn eine Erkenntnis hat er absolut verinnerlicht: Gewaltenteilung schützt gewiss vor Missbrauch nicht. Wohl aber setzt sie in den Stand, Märchenerzähler und Zyniker als solche zu identifizieren. Also, weg damit und dann doch lieber gleich Staatsimperialismus! Die durchaus als lebendig wahrnehmbare Glorifizierung des Sozialismus stalinistischer Prägung ist sowohl Folge von Verdrängung als auch Trauer über verlorene Privilegien und Macht. Verstehen kann ich dieses Phänomen, wenn ich in das Buch des Lebens, in die Bibel schaue: Nach nur kurzer Zeit auf der Wüstenwanderung murrte das Volk und wollte zurück zu den sprichwörtlichen ‚Fleischtöpfen Ägyptens.‘ Die Verdrängung ließ es zu, dass vergessen wurde, dass es ‚Fleischtöpfe‘ der Zwingherren waren, vor denen man sich auf der Flucht befand. Das Volk der Bibel erreichte das ‚gelobte Land‘ – trotz seiner Fehler. Ob unsere Fehler ein Weiterleben gestatten, scheint mir mehr als zweifelhaft zu sein.
Rudolf Hubert, Schwerin, 12.04.2022