Nachdem das mediale Interesse an Corona etwas nachgelassen hat, beherrschen nun zwei Themen die Nachrichten: der Krieg in der Ukraine und Nord Stream 2. Zwischen beiden gibt es einen Zusammenhang: vor Kriegsbeginn wurde Nord Stream 2 von der Bundesregierung und der Landesregierung unterstützt, danach nicht mehr. Alle guten Gründe, Nord Stream 2 zu fördern, zählen nicht mehr. Es geht jetzt nur noch darum, dem bösen Putin und den Russen Schaden zuzufügen. Die Befürworter von Nord Stream 2, vor allem aus der CDU, wollen sich nun an nichts mehr erinnern. Frau Schwesig rudert heftig zurück. Die Stiftung, die auch gegründet wurde, um den Bau von Nord Stream 2 zu Ende zu bringen, nachdem sich die Amerikaner in eklatanter Art und Weise eingemischt hatten, soll nun unbedingt aufgelöst werden. Alle Verbindungen nach Russland sind plötzlich suspekt. Die Russlandphobie erfasst auch die Kultur: ein russischer Stardirigent wird gefeuert, Tschaikowski wird vom Spielplan genommen. Im Ersten thematisiert der abendliche Tatort am letzten Sonntag die Russen-Mafia (wer will da noch an einen Zufall glauben). Der Radiosender NDR Radio MV stellt einen Podcast unter dem Titel „Akte Nord Stream 2 – Gas Geld Geheimnisse“ zur Verfügung, vermutlich soll hier geklärt werden, wie weit sich Frau Schwesig mit Herrn Putin eingelassen hat. Wer sich an der Dämonisierung Putins nicht beteiligt, gerät in Verdacht, ein Putin-Versteher und Russenfreund zu sein. Alle Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu Russland erscheinen plötzlich in einem anderen Licht.
An der Energieversorgungssituation hat sich allerdings auch dem Angriff der Russen auf die Ukraine nichts geändert. Nachdem die Atomenergie zum Teufelszeug erklärt wurde und modernste Kohlekraftwerke planmäßig vom Netz genommen werden, ist ein Energie-Puffer, von Frau Schwesig als Brückentechnologie bezeichnet, unbedingt erforderlich. Um diese Lücke zu schließen und die Abhängigkeit vom russischen Erdgas zu beenden, müssen nun neue Abhängigkeiten hergestellt werden. Das bislang so verpönte schmutzige Erdgas aus den USA und die Energiequellen der menschenrechtsverachtenden Scheichs sind nun plötzlich eine Alternative. Die Auswirkungen dieser Strafmaßnahmen treffen weniger Putin, der wird sein Gas auch woanders los, sondern vor allem die deutsche Wirtschaft und die Bevölkerung.
Werden mit dieser Politik tatsächlich nationale Interessen vertreten oder folgt die deutsche Außenpolitik hier dem Blockdenken des kalten Krieges, das weiterhin von den Amerikanern gepflegt wird?