Solange die derzeitige Außenministerin noch nicht im Amt war, stand zu befürchten, dass aufgrund der von ihr immer wieder geäußerten scharfen Kritik an Russland nichts Gutes zu erwarten ist. Dass ihr erstes Gespräch mit S. Lawrow 90 Minuten über die Zeit ging, soll hier sehr positiv betrachtet werden, denn reden ist besser als schießen. Dass der Schwerpunkt der Gespräche auf Ausweitung der vielschichtigen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern gerichtet war, ist sehr begrüßenswert, denn Russland ist nach wie vor an einer Zusammenarbeit mit Deutschland interessiert. Letztlich gibt es zwischen beiden Ländern mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes. Auch wenn Putins Regierungsstil als „autoritär“ bezeichnet wird, bei einer zum Nutzen beider Seiten sich vertiefenden Zusammenarbeit geht es nicht um die „Verherrlichung autoritärer Regime“ (was der „Spiegel“ der SPD vorwirft), sondern um Wandel durch Annäherung und echte Hilfe bei der Weiterentwicklung des Landes vor allem im Interesse seiner Bürger. Deutschland sollte, auch als Mitglied von EU und NATO, Russland gegenüber immer eine Sonderrolle spielen, denn auf den Deutschen lastet nun einmal eine 80 Jahre zurückliegende riesige historische Schuld gegenüber diesem Land betreffs der Untaten gegenüber dieser Nation im 2. WK. Das hat die Außenministerin am Grabmal des unbekannten Soldaten an der Kremlmauer auch sichtbar werden lassen. Sind denn die Sicherheitsforderungen Russlands so unberechtigt? Wie würden sich denn die USA verhalten, wenn Russland Waffensysteme auf Kuba stationieren würde, wie es 1962 die UdSSR tat? Die NATO will doch wohl nicht sagen, dass sie in der Ukraine nicht ihre militärische Infrastruktur hinterlässt? Und bei einer Mitgliedschaft der Ukraine wäre die NATO da nicht im gegebenen Fall sofort präsent? Wo ist da der Unterschied zu 1962? Was die USA sich verbitten würden, steht Russland ebenso zu. Und Russland immer wieder zu unterstellen, es wolle die Ukraine angreifen, ist unseriös. Beide Länder sind weder Mitglied der EU noch der NATO, also haben sie das unter sich zu regeln ohne Einmischung anderer, wie der Westen Einmischung von außen in seine Angelegenheiten auch nicht duldet. Wenn die Außenministerin betont, dass kein Land das Recht habe, anderen Ländern vorzuschreiben, mit wem sie betr. Beziehungen oder Bündnissen zu kooperieren haben, so gilt das voll und ganz auch für die USA, die EU, die NATO und auch Deutschland (das sich nach 1990 auch an ungerechten Kriegen mit beteiligt hat). Zum Abschluss: Die beiden Außenminister trennen betr. ihres Dienstalters Welten, aber bei der Pressekonferenz hatte ich den Eindruck, dass S. Lawrow bei allen bestehenden momentanen Gegensätzen mit seiner jungen Kollegin sehr behutsam umgegangen ist. Bleibt sehr zu hoffen, dass A. Baerbock das auch weiterhin zu schätzen weiß!