Das Gespräch hat doch gerade erst begonnen…
Ich gestehe meine Vorliebe für dieses Leserbriefforum, denn hier wird tatsächlich – und das seit Jahren – über den alltäglichen sprichwörtlichen ‚Tellerrand‘ hinausgeblickt. Hier finden auch Zuschriften einen Platz, die es woanders sicher schwer(er) hätten. So vielleicht auch der Leserbrief vom 23.02. Unter der Überschrift: „Religionen, Kapitalismus, Sozialismus oder Kommunismus“ ist dort zu lesen: „Alles nur ideologische Philosophien und unbrauchbar für die Welt…Ich habe …keine Lösung. Schafft der Mensch sich selber ab?“ Wer ohne Scheuklappen durch die Welt geht, kann sich dieser ‚Diagnose‘ kaum verschließen, auch nicht der Berechtigung der letzten Frage. Der Autor ist mit seinen Fragen nicht allein, denn schon vor ca. 70 Jahren finden sich folgende Sätze in der Autobiografie „Verhüllter Tag“ von Reinhold Schneider: „Alle Abgründe sind aufgerissen: die des Kosmos, die des Menschen…Ich kann Geschichte nur noch begreifen in Komplexen von Gegensätzen, in dramatischen Konzeptionen.“ Und der Theologe Karl Rahner fragt: „Aber wohin geht die Reise? Fanden wir – als wir zu unserem Dasein erwachten – uns nur in einen Zug versetzt, der fährt und fährt, ohne dass wir wissen wohin…Ist der Mensch bloß der Punkt in der Welt, an dem diese brennend ihrer Nichtigkeit innewird? Glüht unser Geist auf, nur um schmerzlich zu erkennen, dass er aus dem Dunkel des Nichts auftaucht, um in ihm wieder zu verschwinden, so wie eine Sternschnuppe… Laufen wir, um uns endgültig zu verlaufen?“ Wie damit umgehen? Brechen im 21. Jahrhundert alle Fragen des Existentialismus des frühen 20. Jahrhunderts wieder auf? Ich bin dem Autor des Leserbriefes dankbar, dass er seine Ratlosigkeit eingesteht und sie öffentlich macht. Wenn er unter ‚Religion‘ eine ‚ideologische Philosophie‘ versteht, dann ist ihm auch hierin zu zustimmen. Allerdings: Dort, wo die Frage nach dem Menschen mit so existentiellem Ernst gestellt wird, wie am Schluss des Leserbriefes, kann eine Ahnung aufkommen, was Religion eigentlich meint. Das Gespräch hat doch gerade erst begonnen…
„