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< Zurück zur ÜbersichtDas Gedächtnis
Träumend hab ich festgestellt, eine Frau hat mir gerade erzählt, ganz genau meine Geschichte und vielerlei Berichte über mich. Ich war erstaunt. Hab ihr dann leise zugeraunt, woher sie das alles wusste? Worauf sie mich streichelte und küsste und sagte, ich bin deine Mutter! Da war alles in Butter. Beide haben wir gelacht und davon bin ich aufgewacht. Ja, was früher war, das weiß ich noch. Was heut passiert, was war das doch? Ich steh in der Küche, will da irgendwas. Ich werd ganz nervös, das ist kein Spaß. Was ich hier will, hab ich völlig vergessen. Wollt ich eventuell etwas essen? Bloß was, ist mir das entfallen? Da höre ich auch noch die Türe knallen. Ich geh hinaus. Lauf durch‘s ganze Haus. Ich geh wieder rein. Es fällt mir nicht ein. Was wollt ich bloß in der Küche hier, denk ich noch so bei mir. Da seh ich die Schale mit Äpfeln stehn. Ich greif zu, die sind wunderschön. Doch eigentlich wollt ich was anderes hier. Ich denk, andern geht es auch so wie mir. Je älter man wird, ich lach, desto mehr lässt alles nach. Auch das Gedächtnis und man schwirrt wie ein Vogel im Käfig und irrt hilflos umher im eigenen Haus und findet nicht mal da wieder hinaus. Ja, das Gedächtnis spielt uns oft einen Streich, dabei war am Leben teilhaben, es so reich!
Marieluise Schuldt, Goldberg, 28.10.2024