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< Zurück zur ÜbersichtVom Umgang mit dem Lehrermangel
Der Lehrermangel in Mecklenburg-Vorpommern ist nicht neu. Noch lange Zeit nach dem Krieg konnten die Qualifizierung von Neulehrern und die Ausbildung von Lehrerstudenten die Lücken nicht schließen. Hinzu kam der permanente Weggang gut ausgebildeter Fachlehrer, die den Verlockungen des goldenen Westens nicht widerstehen konnten. In der eigenen vierjährigen Oberschulzeit waren es 11 (elf). Also versuchte man diesem Problem unter anderem dadurch zu begegnen, dass man Lehrer aus den südlichen Bezirken mit der damals üblichen Methode der Überzeugung zum Einsatz im Norden »delegierte«. Dabei erleichterte natürlich eine Schule nahe der Ostseeküste den nötigen Umzug eher als eine Schule im Sperrgebiet des Kreises Hagenow. Manch einer versuchte sich damit zu trösten, dass einst auch Lenin in die Verbannung geschickt worden war. Immerhin brachten die neuen Kollegen aus Sachsen und Thüringen außer ihrem südländischen Temperament auch ihren unüberhörbaren heimatlichen Dialekt mit. Sogar einen besonderen sprachlichen Exoten aus Ostpreußen hatten die Kriegswirren hierher verschlagen. Eines Tages erhielt er einen vorher angekündigten Unterrichtsbesuch. Dafür hatte er die Deutschstunde gründlich mit Bildungs- und Erziehungsziel vorbereitet. Es ging um die Rechtschreibung von Wörtern mit »k« bzw. »ck«. Die Schüler arbeiteten fleißig mit, und an der Tafel standen allerhand entsprechende Wörter, die nun in ganzen vollständigen Sätzen angewendet werden sollten. Ein besonders pfiffiger Junge kombinierte gleich zwei Beispielwörter »Der Traktor steht an der Hecke.« Das konnte allerdings aus politisch-erzieherischer Sicht so nicht unwidersprochen bleiben: »Aber Jong, dat jeht doch jahr nich. Der Tracktor steht nich an der Häcke, der muss doch arbeeten!« Die Auswertung der Hospitation soll in sehr aufgeräumter Atmosphäre verlaufen sein.
Rainer Sabisch, Boizenburg, 18.09.2024