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Was kann man sich für neun Euro kaufen? Eine Schachtel Zigaretten, einmal Fast Food im Schnellrestaurant, drei Stück Butter, drei Stück Kuchen … Das ist nicht viel, aber es gibt für neun Euro, für Geduldige, die Deutschlanderfahrung. Unterwegsproviant, ein Kopfkissen und man hat die Chance mit netten Leuten einen Monat lang Deutschland zu erbahnen. Ich habe es probiert. Fahren wollte ich mit dem ICE, klimatisiert, Flüsterabteil, Kaffee am Platz, WLAN ist da, alles was man für das moderne Reisen braucht. Der freundliche Herr am Fahrkartenschalter erklärte mir, warum 100 Euro, wenn ich das für 9 Euro bekommen könnte, ich sei nur 16 Minuten später am Ziel in 500 Kilometer Entfernung und dann gelte das Ticket ja noch den ganzen Monat. Unschlagbar diese Argumentation. Einmal alle Bahnhöfe kennenzulernen entlang einer Strecke erschien mir auch reizvoll, da ich mich nach dem EDEKA-Schriftstreit in Greifswald damit befasse, zu erkunden wer sich alles dem Zeitgeist entgegengestellt hat, von dem er bis zur Social Media-Empörung gar nichts wusste. Gut, das Einsteigen war etwas stressig. Klar, viele nutzen diese unschlagbar billige Fahrtmöglichkeit. Ob sie das der Umwelt zuliebe taten, weiß ich nicht, habe sicherheitshalber auch keinen danach gefragt. Ich kam gut an einen Platz. Beim Umsteigen, das war nicht selten, konnte es schon passieren, dass alle Plätze besetzt waren. Ein Vorurteil bestätigte sich nicht: »Die Jugend sei unhöflich.« Dreimal wurde mir ein Platz angeboten von jungen Frauen und Männern. Sie wiederum wunderten sich, warum ich dankend ablehnte. Es war eine Gelegenheit zu testen, wie lange ich stehen kann, ohne dass die Unterschenkel anschwellen: glücklicherweise gar nicht. Angekommen bin ich und alle anderen auch. Proviant hat gereicht, Laptop blieb im Rucksack. Fazit, es ist etwas für Sparfüchse, auch etwas für Heimatliebhaber. Etwas schwierig für Menschen mit mehreren Kindern. Eine schwierige Angelegenheit durch vieles Umsteigen, besonders dann, wenn die Kleinen unbeeindruckt von all dem Trubel eingeschlafen sind. Schwierig auch für Menschen mit Behinderungen, da die Regionalzüge nicht immer barrierefrei zu besteigen sind. Rollatoren sind der Ticketnutzung auch hinderlich. Sie passen einfach nicht in die Wagen, wenn die Fahrrad-, Kinderwagen und Rollstuhlplätze alle von E-Bikes, zu denen meist muskulöse volltätowierte Männer und Frauen gehören, die allerdings auch nicht wissen, wohin sonst mit den Vehikeln. Wichtig, es gilt auf allen Bahnhöfen und in allen Zügen Maskenpflicht. Es ist ratsam, sich in den beengten Regionalbahnen daran zu halten. Die Idee, weiterhin ein solches Ticket anzubieten halte ich für sehr gut. Natürlich, es gilt zu beachten, dass Menschen mit einem anerkannten GdB von 50 oder mehr und dem zuerkannten Merkzeichen G, die Regionalzüge ein ganzes Jahr für 91 Euro, (Stand 2022) nutzen können. Dies ist ein sozialer Ausgleich. Wenn das Ganzjahresticket dann für alle 108 Euro kostet, muss man fragen, wo dann dieser soziale Ausgleich bleibt. Wir als SoVD in MV fordern deshalb, den Jahresbeitrag um 50 Prozent herabzusetzen. Gute Fahrt Ihr
Helmhold Seidlein, SoVD-Landesvorsitzender MV , 08.09.2022