Leserbriefe lesen

Fragen in verrückten Zeiten

Es wird immer intensiver aufgerüstet: Stützpunkte, Langstreckenwaffen, Atomwaffen, ... Friedensfähigkeit weicht der Kriegstüchtigkeit, Machtpositionen werden ausgebaut, Kapitalismus missioniert; mit fundamentalen Auswirkungen auf Zusammenleben und Wirtschaft. Waren diese Veränderungen Thema der Wahlprogramme? Wurden wir Bürger gefragt? Wo ist da die Demokratie? Kritiker werden oft als Demokratie-Feinde disqualifiziert und menschenrechtsverachtende Mächte hofiert. Demokratie wird gepredigt, aber wird sie auch gelebt? Es wird über Strategien, Macht und den Erhalt bestehender Verhältnisse geredet. Bestimmt ist überall etwas Wahres und Nachvollziehbares daran. Wo ist aber die humanistische Sichtweise, die von dem Leid des Krieges erzählt? Nicht nur von Grenzen, Zahlen, Ressourcen oder Schuss Munition? Wer berichtet über das Leid, welches die Soldaten, die Familien erleiden - übrigens auf beiden Seiten der Kontrahenten, über zerfetzte Körper, faulende Leichname, Misshandlungen, Beerdigungen, die Trauer der Angehörigen oder die Zukunft der Kinder ohne Eltern? Und immer sind es die „normalen“ Menschen, denen dieses Leid aufgezwungen wird; nicht den Einflussreichen, die weitab vom Schlachtfeld am Machterhalt verdienen. Mir scheint, es gibt kein Mitleid für diejenigen. die wirklich leiden; es gibt nur Mitleid mit bestehenden politischen Verhältnissen, zum Beispiel repräsentiert von Herrn P. oder Herrn S., die alle Hände voll zu tun haben, Landsleute schnell ins Gefechtsfeuer zu bringen statt über Friedensvorschläge konkret zu verhandeln. Wo sind da unsere Medien, Philosophen, Journalisten, aber auch die Christen, die Linken, die Sozialisten, die einstmals friedliebenden Grünen, um in Richtung Frieden zu arbeiten? Wer denkt an das Umweltdesaster (Tschernobyl ist vielleicht ein Klacks dagegen und der Aufruf CO2 zu sparen klingt da wie eine Farce)? Allein der Krieg in der Ukraine verursacht so viele Treibhausgase wie ein Land mit der Größe von Belgien (ZDF, 07.06.2024). Sollen wir mit unseren teils schmerzhaften Sparmaßnahmen die Emissionen von Kampfflugzeugen, Raketen, Munition und zerstörten Häusern kompensieren? Wo sind unsere vermeintlich so umweltbewussten Politiker und Medien? Ich hätte aufgrund unserer historischen Verantwortung in Deutschland eine sofortige Unterstützung oder gar Vermittlung friedensschaffender Initiativen erwartet, insbesondere von den Grünen als ehemalige Friedenspartei. Ich frage mich, warum unsere Regierung (oder besser: die jetzige Regierung der BRD) nicht dieser Verantwortung nachkommt und alles für den Frieden und einen Stopp des Tötens unternimmt. Stellen wir doch die 100 Milliarden zur Disposition für die Menschen in der Ukraine und in Russland im Gegenzug zu einem Stopp des Tötens. Wir könnten wieder aufbauen, Armut bekämpfen, ein Land modernisieren; und sogar noch dabei verdienen? Wäre das zu teuer? Sollen wir „friedensverbundenen“ Menschen uns etwa durch die AfD oder Herrn Trump vertreten lassen, die gegen den Krieg und für Verhandlungen stehen? Sollen wir uns hinter die so ungeliebten Politiker wie Xi oder Orban stellen, damit das Töten endlich aufhört? Wer vertritt uns noch? Alle, die das nukleare Inferno befürchten, werden belächelt. Es heißt, Stabilität sei nur durch Abschreckung zu erreichen . Wissen wir nicht mehr, wie oft wir seinerzeit schon ungewollt kurz vor dem Inferno standen? Wissen das unsere Einflussreichen nicht? Für die ist eines nur gut: Im Falle des Infernos kann keiner mehr nach den Verantwortlichen fragen. Es sind verrückte, gefährliche Zeiten.

Klaus S., Wismar, 31.07.2024

Hier können Sie Ihre Leserbriefe online aufgeben

Bitte beachten Sie, dass wir uns das Recht vorbehalten, im Falle des Abdruckens in der Zeitung, Textpassagen zu kürzen oder nachträglich zu ändern.