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< Zurück zur ÜbersichtBitte um Entschuldigung
Es gibt Momente, da erinnere ich mich voll Scham daran, wie hart wir als größere Kinder und Jugendliche mit der Generation unserer Eltern und Großeltern gestritten haben über ihre „Mitschuld“ am Nationalsozialismus, am 2. Weltkrieg usw. durch Schweigen, durch wenig Widerstand, durch Wegsehen und Nichtwahrhabenwollen. Was hätten Oma und Opa auch ausrichten können? Und vor allem: Das hatte es nicht schon einmal gegeben, vieles war nicht einfach von vornherein zu durchschauen; solch eine Verwirrung durch Lüge, Machtgier, Entmenschlichung und entfesselte Brutalität, ist nicht vorstellbar. Nur im Nachhinein muss man mit Entsetzen feststellen: „Das hat es wirklich gegeben.“ Unsere Situation heute ist eine andere: Wenn wir die Bilder aus der Ukraine sehen, wenn wir die Lügen, die Machtgier, die Entmenschlichung und die ungezügelte Brutalität sehen, mit der ein Land überfallen und kaputtgemacht wird, dann lässt sich leicht feststellen: „Was vor 80 Jahren von Deutschland ausgegangen ist, ist wie eine Blaupause für das, was aktuell durch Russland stattfindet.“ Was werde ich antworten, wenn mich später einmal jemand fragt: „Habt Ihr das denn nicht gesehen?“ Ich werde sagen: „Doch, man hat es sehen können. Allerdings nur, wenn nicht Zynismus, Empathielosigkeit und Realtitätsverweigerung den Blick verstellen. Und, wenn das Feindbild, nämlich Amerika oder der Westen, nicht von vornherein unverrückbar festzustehen hat.“
Wolfgang Hubert, Scheyern, 16.05.2023