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< Zurück zur ÜbersichtWundermittel Sanktion
Die jüngsten Anstrengungen der EU, Russland mit weiteren Sanktionen zu disziplinieren, haben mich nachdenklich gemacht. Es ist sehr verwirrend zu beobachten, dass in unsere Außenpolitik zumindest verbal erkannt wurde, dass Russland kein Kindergarten ist und gut gepflegte Kontakte von Vorteil für Deutschland sein können. In der realen Politik aber verhalten sich Deutschland, die EU und die USA allerdings so, als sei Russland ein Kindergarten und die ungezogenen Kinder bedürfen ständig einer strengen Erziehung auf der Grundlage der allein seligmachenden westlichen Werte. Unser Außenminister geht dort mit vorauseilendem Gehorsam sehr dynamisch voran. Hält er sich etwa für den Erziehungsberechtigten Russlands? Natürlich immer nur die Erlaubnis der USA voraussetzend. Werden solche Fehleinschätzungen möglicherweise dadurch begünstigt, dass Deutschland schon wieder Panzer und Soldaten nahe der russischen Grenze stationiert hat? Nicht alle Staaten dieser Welt verhalten sich gegenüber der USA so devot wie Deutschland. Da hilft es auch nicht, dass Deutschland Mitglied im Chor derer ist, die das Lied von der Befreiung der Welt singen. Klingt übrigens in Bezug auf Deutschland sehr bekannt. Sanktionspolitik führt immer auch zur Schädigung und internationaler Isolation der eigenen Wirtschaft. Solange die US-Wirtschaft dadurch gestützt wird, sagt das natürlich keiner unserem Außenminister. Noch ein anderer Gedanke macht mir Sorgen. Der sogenannte Westen missbilligt das Verhalten von souveränen Staaten, die nicht bereit sind, sich dem westlichen „Wertesystem“ zu unterwerfen. Um diese Staaten von ihren eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen abzubringen, wird mit gezielten Maßnahmen auch gegen Einzelpersonen dieser Staaten vorgegangen. Dazu werden haarsträubende Behauptungen aufgestellt. Dass sie nicht beweisfähig sind, ist inzwischen ein Normalzustand geworden. Diese friedensgefährdenden und völkerrechtswidrigen Maßnahmen werden dann Sanktionen genannt. Nun ist zu beobachten, dass der innere Frieden in unserem Land nicht immer ganz so friedlich ist. Gegner unser Demokratie, wie rechtsradikale Gruppierungen, Reichsbürger, Neofaschisten usw. zeigen immer deutlicher ihre Abneigung und lassen einen deutlichen Rechtsruck erkennen. Sie begnügen sich schon lange nicht mehr mit friedlichen Demonstrationen. Ähnlich wie bei dem Wundermittel der außenpolitischen Sanktionen richten auch sie sich oft gezielt gegen Einzelpersonen. Bedrohungen zielen vereinzelt bis in die Familien der angegriffenen Personen. Sie sollen einfach an ihrem politischen Wirken gehindert werden. Zumeist sind solche Handlungsweisen kriminell und können strafrechtlich verfolgt werden. Schön, dass es diese Möglichkeit gibt. Vielleicht sehe ich es ja falsch, aber ich habe immer wieder Gedanken, die Parallelen zwischen außenpolitischen Sanktionsritualen und den Straftatbeständen, die den inneren Frieden in unserem Land gefährden, herstellen. Ich frage mich dann, wer lernt hier eigentlich von wem?
Jürgen Barz, Wismar, 28.02.2021