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< Zurück zur ÜbersichtNicht rätseln, sondern wissen
Da schreibt kürzlich eine Journalistin, Kanzler Scholz vermeide das sog. „Unwort“ (Nordstream 2) und möchte sich ggf. noch eine Tür nach Russland offen halten. Wenn es so sein sollte – völlig richtig. Nordstream 2 ist eine rein wirtschaftliche Angelegenheit und hat mit Politik nichts zu tun. Wir würden uns nur selbst schaden. Und weiterhin schreibt sie: Nicht die Menschen „müssten“ erfahren, welchen Wert ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland und Russland hat, nein, sie müssen erfahren, dass auch Russland wertvoll für unser Land, die EU und die Welt ist. Ein wichtiger Grundsatz, den uns E. Bahr (SPD) hinterlassen hat, ist: Frieden in Europa gibt es niemals gegen Russland, sondern nur mit ihm, und da ist die Gesellschaftsordnung erst einmal völlig uninteressant. Die Demokratie US-amerikanischer Prägung ist nicht der Weisheit letzter Schluss, sonst würden sicher mehr als 45% der Weltbevölkerung in einer Demokratie leben. Mit anderen Worten: Eine herbei gebombte oder geputschte Demokratie solcher Art lehnen sie ab, siehe z.B. das Afghanistan-Desaster nach 20 Jahren “Bemühungen“. Hat man daraus nichts gelernt? Wie kann ein Staat, der für seine „nationale Sicherheit“ den Globus mit einem Netz von über 1000 militärischen Stützpunkten überzogen hat, einem anderen Staat dessen Sicherheitsinteressen verweigern? Nur weil er eine andere Gesellschaftsformation hat? Es wird in allen Medien nur von der „Aggressivität“ Russlands gesprochen und der Überfall Russlands auf die Ukraine schon für morgen oder übermorgen herbei geredet. Das erinnert an den US-Zeitungsmagnaten R. Hearst Ende des 19. Jh., der das Motto vertrat: „Sie liefern die Bilder. Ich liefere den Krieg“. Die Worte des russischen Botschafters Netschajew, „wir wollen diesen Konflikt auf keinen Fall ausbrechen lassen“, werden so gut wie ausgeblendet. Im Gegenteil, nicht nur der Kanzler und seine Partei werden angegangen, sondern nun auch noch die Regierungs-Chefin von MV, weil sie die nach wie vor guten Beziehungen zur russischen Seite weiterhin pflegen will. Deutschland hat sich im 2. WK so viel historische Schuld gegenüber den russischen Völkern aufgeladen, aber selbst die neue Verteidigungsministerin schickt jetzt deutsches Militär ins Baltikum an die russische Grenze. Wenn Russland auf seinem Territorium mit Belarus Manöver durchführt, ist der Westen entsetzt, aber wenn die USA in ca. 15.000 km Entfernung von ihrem Land Manöver im Baltikum an der russischen Grenze durchführen (wollten), sagt niemand etwas, das ist alles völlig „normal“. Wo bleibt da die Verhältnismäßigkeit? Die deutsche Politik hat vergessen, die deutsche Geschichte zu befragen. USA und NATO sind in dieser Beziehung absolut keine guten Ratgeber. So ganz nebenbei: Wer hat uns Ostdeutsche 1990 eigentlich gefragt, ob wir uns die NATO wünschen? Es war ein großer Fehler, nach dem Ende des Warschauer Vertrages mit Russland kein neues Militärbündnis abzuschließen. Die Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages zwischen Deutschland und Russland (abgeschlossen 1887 von Bismarck) durch von Caprivi (1890 nach Bismarcks Rücktritt) war ein nicht geringer Baustein für den 1. WK. Wer heute sicher und friedlich leben will, darf niemals seine Geschichte vergessen!
Wolfgang Mengel, Stralsund, 15.02.2022