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< Zurück zur ÜbersichtWer rasselt mit dem Säbel?
Über Politikverdrossenheit muss sich niemand wundern, wenn selbst ein Alt-Kanzler mit einer Rhetorik, die an Selbstüberschätzung nur noch durch seinen Lobbyismus für russische Gasfirmen übertroffen zu werden scheint, sich dreist hinstellt und vom ‚Säbelrasseln der Ukraine‘ schwadroniert. Gewiss, Geld verdirbt die Moral, das ist keine neue Erkenntnis. Und dieser Alt-Kanzler hat durch seinen raschen Wechsel in die Wirtschaft die marxistische Analyse bestätigt: „Es ist das Sein, das das Bewusstsein bestimmt.“ Wer jetzt die Augen davor verschließt, dass Russland mit seiner ausgebauten Militärpräsenz in Weißrussland, gegenüber der Ukraine, in Kasachstan, in Tschetschenien, gegenüber Georgien deutlich erkennbare Interessen vertritt, der zeigt nicht nur seine Geschichtsvergessenheit. Er macht sich mitschuldig, wenn vor unserer Haustür ein neuer Krieg beginnt. Ob er dann unsere ‚Haustür‘ heil lässt – das ist die sich anschließende Frage. Denn der russische Machthaber fühlt sich weder vom Baltikum noch von Georgien oder der Ukraine bedroht. Das Geschwafel von Gysi, dass man doch einen Sicherheitsabstand brauche, ist nur lächerliche Ablenkung davon, dass seinerzeit Kuba Amerika mit sowjetischen Atomwaffen bedrohen sollte. Russland hat vor niemandem Angst – das hat es mehrfach unter Beweis gestellt. Nur, um sein Hegemonialstreben zu kaschieren, wird uns wieder die kommunistische Mär aufgetischt vom Umzingelungsversuch westlicher Staaten. Und dann redet man so gern davon, dass Genscher doch eine Nato-Ost – Erweiterung abgelehnt hat. Das klingt fast so, als hätte ein Land das Recht, dem anderen Land vorzuschreiben, wie es sich politisch zu orientieren hat. Übrigens, wenn wir schon bei Absprachen sind: Wer hat denn der Ukraine zugesichert, dass sie um ihre territoriale Integrität sich nicht zu sorgen braucht, wenn die Atom-Waffen an den ‚großen Bruder‘ abgegeben werden? Die Ukraine hat Wort gehalten! Der Vielvölkerstaat UdSSR war doch von jeher ein Staat, der andere Völker, die zuvor ihrer Freiheit beraubt wurden, nicht mehr aus seinen Fängen ließ. Und dass man als russischer Autokrat diese ehemalige Größe gerne wiederhaben möchte – ist das so schwer nachzuvollziehen? „Es ist das Sein, das das Bewusstsein bestimmt.“ Man sollte mit Russland reden über enge wirtschaftliche Beziehungen, vielleicht auch darüber, wie es wirksam eingebaut wird in eine Sicherheitsarchitektur, die niemanden bedroht und die auch China deutlich macht, dass militärische Optionen keine sind. All das ist machbar, doch dafür müssen manche Interessen aufgegeben werden. Der Profit der Waffenlobby darf ebenso kein Treiber bei den Prozessen sein wie das Großmachtstreben von Politikern, die sich wirksam jeder parlamentarischen Kontrolle entziehen. Und wer altklug daherkommt und meint, das alles sei Wunschdenken, weil ein ‚Klassenstandpunkt‘ nur den Profit als allein wirksamen Motor von allem kennt, der muss (endlich) sagen, ob und vor allem wie er Fatalismus und Krieg wirksam verhindern will.
Rudolf Hubert, Schwerin, 01.02.2022