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< Zurück zur ÜbersichtWer oder was ist "einzigartig"?
»Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft…« So geht es weiter in dem von Marx übernommenen Zitat und endet mit dem Fazit: »300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert…« Ich schließe mich zu großen Teilen dieser Analyse an, die hilfreich ist bei der Beurteilung gesellschaftlicher Prozesse. Doch umso mehr bleibt die Frage nach Sinn und Ziel menschlicher Bemühungen. Reicht der historische und dialektische Materialismus zur Beantwortung dieser Frage aus? Ist die Überzeugung von der »historischen Mission der Arbeiterklasse« hinreichend? Was ist das Ziel menschlichen Denkens, Tuns und Trachtens, wenn eines Tages eh‘ alles vergeht? Das ist doch das Kernproblem, dem manch einer gerne (und immer wieder!) ausweicht und von dessen Beantwortung auch abhängt, ob und wie man die Welt – eben nicht nur interpretiert – sondern entsprechend verändert. Ich sag‘ es mit den Worten des Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar: »Man kann sich einbilden, für die Menschenwürde eintreten zu können, ohne an Gottes Person zu glauben…Die Logik der Geschichte aber wird die so verabsolutierten Personen doch wieder existentialistisch oder kollektivistisch nivellieren.« (Aus »Klarstellungen«) Hierzu nur noch zwei Anmerkungen: Geschichtlich wird man sich schwertun, diese Aussage zu bestreiten. Der für mich allerdings wesentlichere Aspekt: Ich kenne viele Menschen, die sich sehr für ihre Mitmenschen einsetzen, die für Menschenwürde eintreten, ohne einen Bezug zu einer Glaubensgemeinschaft zu haben. Mir scheint dies ein deutliches Indiz dafür zu sein, dass das, was alle Religionen im Letzten meinen, tatsächlich auch von vielen Menschen verwirklicht wird ohne einen ausdrücklichen religiösen Bezug. Das stimmt mich persönlich hoffnungsvoll in Bezug auf die Zukunft des Menschen und somit auf die »Reichweite« von Religion, deren Gestalt sich durchaus ändert und die gegenüber Missbrauch nicht immun ist. Hier irrte übrigens der große Karl Marx, der davon träumte, dass die Religion »absterben wird«, wenn erst einmal die Befreiung des Proletariats geglückt ist. Selbst Lenin, der versuchte, die Religion »mit Stumpf und Stil auszurotten« musste scheitern, weil das, was Religion meint, mit dem Wesen des Menschen gegeben zu sein scheint und sich eben nicht in der Freiheit von Ausbeutung und Unterdrückung erschöpft. Die unbedingte Würde des Menschen und die universelle Geltung der Menschenrechte – für deren Begründung reichen weder der »Klassenstandpunkt« noch der »Besitz von Produktionsmitteln«. Hier ist der eigentliche Ansatzpunkt für Religion zu sehen. Rudolf Hubert, Schwerin
Rudolf Hubert, Schwerin, 25.01.2021