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Gedanken am 7. Oktober

Am 7. Oktober gehen die Gedanken vieler Menschen in unserer Heimat in unterschiedliche Richtungen. Die Gründung der DDR, fünf Monate nach Gründung der BRD, zementierte die Spaltung Deutschlands. Der 7. Oktober 2023 vertiefte die Spaltung der Menschen im neuen Deutschland wieder, die mit Beginn des Vereinigungsprozess am 3. Oktober 1989 überwunden werden sollte. Am 3. Oktober 2023 wurde die deutsche Staatsraison, die den Schutz jeglichen jüdischen Lebens verspricht, schwer verletzt. Deutschen jüdischen Glaubens und jüdische Menschen aus anderen Ländern, die in Deutschland weilten, wurden Zielscheibe des Vernichtungsbestrebens allen jüdischen Lebens, welches an diesem Tage in grausamer Art und Weise zelebriert wurde. Seitdem müssen auch in Deutschland Synagogen, jüdische Schulen, jüdische Krankenhäuser und Menschen, die sich zum jüdischen Glauben bekennen geschützt werden. Trotz vieler Warnungen hatte sich der deutsche Staat nicht in ausreichender Art und Weise auf die Durchsetzung der Staatsraison eingestellt. Und dies ist am 7. Oktober 2024 immer noch so. Deutschen jüdischen Glaubens und jüdische Menschen aus anderen Ländern, die in Deutschland weilen, können sich nicht auf den zugesicherten Schutz des deutschen Glaubens verlassen, müssen Zeichen ihrer jüdischen Existenz ablegen und können in ihren Gotteshäusern, Schulen, Krankenhäusern, Vereinen usw., nur noch bei polizeilicher, zumeist aber unzureichender, Präsenz leben, glauben und arbeiten. Sie sind in der Öffentlichkeit von verbaler und körperlicher Gewalt-Androhung, ja auch -Ausübung, bedroht. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) in Mecklenburg-Vorpommern hat bei vielen Gelegenheiten auf die verfassungsgemäße Verpflichtung des deutschen Staates und auch der handelnden Politik und Justiz in Mecklenburg-Vorpommern zum Schutz der Menschen jüdischen Glaubens und ihrer Einrichtungen gedrängt. Gespräche mit der handelnden Politik und den jüdischen Verbänden wurden geführt. Wir sind zutiefst beschämt, dass Antisemitismus in Deutschland wieder auferstanden ist und keine tatsächlichen Anstrengungen zu erkennen sind, ihn mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und mit allen Konsequenzen aus Deutschland zu vertreiben. Dabei geht es nicht darum, antisemitische Bestrebungen einzudämmen oder zurückzudrängen, wie oft auch von große Verantwortung Tragenden zu hören ist. Es geht darum, Antisemitismus zu beseitigen und ihn nie wieder zuzulassen. Dies war das große Versprechen an die jüdischen Überlebenden am Ende des Zweiten Weltkrieges. Lösen wir dieses Versprechen endlich ein.

Dr. med. Helmhold Seidlein, SoVD Landesvorsitzender Mecklenburg-Vorpommern , 09.10.2024

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