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Schöne neue Fernsehwelt

In diesen Tagen haben ein paar dazu berufene Leute und ihr Anhang über die nächste Zukunft der deutschen Fernsehlandschaft entschieden. Vermutlich muss man unter ihnen Leute, die in der DDR sozialisiert wurden, mit der Lupe suchen. Angestoßen durch die vorgebliche Alternative für Deutschland (wer sich so einen Namen wählt ist sich entweder dessen bewusst, dass es viele A. gibt oder will sich zur einzigen machen, wer weiß) suchen die Damen und Herren nach Wegen zur Stabilisierung und ggf. Reduzierung des Rundfunkbeitrags. Kaum dabei zur Sprache kommt, dass man für den infrage kommenden Betrag heutzutage nicht einmal eine Tageszeitung abonnieren und auch nur wenig streamen kann. Bei Letzterem muss man bekanntlich erst einmal den Verbreitungsweg bezahlen und kann erst dann das Billige unter Aufsicht einer KI ansehen. Das vermeintlich oder wirklich Gute und kulturpolitisch Unerwünschte kostet extra. Im Rahmen dieses Programms zur letztlichen Verschlechterung des Angebots soll auch der Blick über den kleindeutschen Tellerrand hinaus erschwert werden: 3sat, das Gemeinschaftsprogramm der deutschsprachigen Länder Europas, soll abgeschafft und in Teilen bei arte, dem deutsch-französischen Kulturkanal, hineingepresst werden. Es ist, als wollte man einen Gemüseeintopf mit einer Kirschsuppe vermengen. Guten Appetit! Für mich wäre damit 85% des noch brauchbaren öffentlich rechtlichen Fernsehangebots in der Versenkung verschwunden. Und die Betonung liegt auf „für mich“, ich maße mir natürlich nicht an, für die Allgemeinheit und auch nicht für jene zu sprechen, die fast nur ZDF Info gucken, welches auch auf der Abschussliste steht. Mir scheint, man will (als Kollateralschaden verbrämt) mit diesem Vorhaben auch und nicht zuletzt das deutsche Privatfernsehen stärken. Als letzten großen Liebesdienst hat man ihm ja schon vor Jahren erlaubt, öfter als bisher das Programm für Werbung zur unterbrechen. Mussten vor der „Reform“ 20 Minuten bis zum nächsten Werbeblock vergehen, darf seither 20% einer Stunde mit Werbung gefüllt werden. Beim Musikfernsehen z. B. folgt nach max. 3 Titeln ein Werbeblock… Angesichts dieser Möglichkeiten besteht bei den Sendern nur noch ein begrenztes Interesse an Filmen oder Serien, deren Spannungsbogen durch diese Art der Zerstückelung kaum mehr erkennbar wäre. Und selbstverständlich hat diese Zerstückelung des Programms nichts mit der seit Jahrzehnten zu beobachtenden verminderte Aufmerksamkeitsspanne vieler Menschen dieses Landes zu tun. Das hat Forschung auftragsgemäß nachgewiesen. Vielleicht besteht aber auch kein Interesse an Bürgern mit einer langen Aufmerksamkeitsspanne und schon gar nicht, wenn sie aus der Unterschicht kommen. Interessant in diesem Zusammenhang: Bekanntlich änderten sich in den letzten Jahren die Übertragungsnormen für Rundfunk und Fernsehen: von der Standardauflösung SD zum HD-Fernsehen und weiter geht es mit 4K. HD ist weitgehend zum Standard geworden und SD wird in den nächsten Monaten bei den ÖR abgeschaltet. Doch die Privatsender halten anscheinend an der Fiktion fest, dass HD immer noch etwas Besonderes sei und man dafür extra zahlen müsse. Meines Wissens, ohne dass dort die Werbedauer vermindert wäre.

Ralf B., Dobbertin, 08.10.2024

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