Die Bedeutung eines guten Verhältnisses zu Russland hatte schon Bismarck erkannt. Nach seiner Entmachtung wurden diese Beziehungen dann durch KW II allerdings sträflich vernachlässigt, was den Ausbruch des 1. Weltkrieges wesentlich begünstigt hat. Diese wichtige Erkenntnis scheint in der deutschen Politik abhandengekommen zu sein. Von einer eigenständigen interessengeleiteten deutschen Außenpolitik kann ohnehin keine Rede mehr sein. Der bis vor Kurzem geltende eherne Grundsatz, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, wurde scheibchenweise aufgegeben. Dabei wurde dem Druck durch die USA, die Nato und aus der Ukraine nachgegeben. Selenskyj bittet nicht um Hilfe, er fordert sie und tritt dabei auf, wie der Chef eines Inkasso-Unternehmens, der Schulden eintreibt. Er brüskierte erst den Bundespräsidenten und kritisierte dann, dass der Bundeskanzler, dessen Besuch ausdrücklich erwünscht war, nicht umgehend in Kiew erschienen ist. Inzwischen ist Scholz der Aufforderung nach kurzem Zögern nachgekommen und hat sich bemüht, dort nicht mit leeren Händen anzutreten. In den Kommentaren der öffentlich-rechtlichen Medien zu dieser Begegnung wurde vermerkt, dass Selenskyj darauf verzichtete hätte, seine Kritik wegen der verspäteten Anreise zu wiederholen. Die deutschen Politiker werden durch Selenskyj nun wieder positiv benotet. Glück gehabt! Aufatmen in der Ampelkoalition. Kann man noch tiefer sinken? Die deutsche Außenpolitik ist zum Spielball der Großmacht-Ambitionen der Vereinigten Staaten und ihrer Interessen in Europa geworden und hat sich nun in einen Wirtschaftskrieg mit den Russen hineinziehen lassen. Da darf man sich nicht wundern, wenn die nun ihrerseits auch alle Register ziehen und Maßnahmen ergreifen, die richtig weh tun. Herr Habeck hat nun nach der Frühwarnstufe im Gas-Notfallplan die Stufe 2 ausgerufen und zu einer nationalen Kraftanstrengung aufgefordert. Er beklagt, dass die Energiewende nur schleppend vorangekommen ist. Doch dann stünden die letzten Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke, die jetzt dringend benötigt werden, wohl nicht mehr zur Verfügung. Die verantwortungslos herbeigeführte Energiewende hat uns erst in diese Abhängigkeit gebracht, die jetzt beklagt wird. Diese Embargo-Politik hat bisher ihre beabsichtigte Wirkung auf die russische Wirtschaft weitgehend verfehlt. Sie ruiniert vor allem die deutsche Wirtschaft und erfordert von der Bevölkerung Einschränkungen, wie man sie in Deutschland seit Ende des 2. Weltkrieges wohl nicht mehr erlebt hat.
Wie leicht dieser Wirtschaftskrieg in weitere aktive kriegerische Auseinandersetzung führen kann, zeigt die Situation der russischen Exklave Kaliningrad. Seit dem 17. Juni wird der Bahntransport von Gütern, die auf der Embargo-Liste stehen, durch Litauen blockiert. In Litauen folgt man der Embargo-Politik und reizt damit den großen Nachbarn, von dem man sich ohnehin bedroht fühlt. Litauen ist Nato-Mitglied. Was, wenn die Embargo-Maßnahmen weiter verschärft werden und für die Exklave existenzbedrohend werden? Wie wird Russland reagieren? Die Situation hat das Potential für eine weitere Eskalation.