Leserbriefe lesen

Wo bleibt die Friedensdiplomatie?

Diese ist im Westen völlig vergessen oder unbekannt. Mit Bewilligung der 65 Mrd. US-Dollar für die Ukraine wird der Krieg verlängert – für wie lange? Todesopfer im Militär- und Zivilbereich sowie eine Unzahl von Verletzten und Zerstörungen spielen scheinbar keine Rolle. Bei der derzeitigen Auseinandersetzung spielen die Begriffe „agieren“ und „reagieren“ eine große Rolle. Der Westen sieht es so: Russland wird Aggressivität vorgeworfen, d.h. Russland agiert und der Westen (incl. NATO) reagiert mit Rüstung und Truppenverlegungen, z.B. ins Baltikum, weil er das aus seiner Sicht als notwendig erachtet. Kann es nicht auch umgekehrt sein? Die NATO hat mit ihrer Osterweiterung agiert und Russland reagiert auf diese Bedrohung durch den Westen (siehe z.B. das Raketenschutzschild in Polen wegen der angeblichen Bedrohung durch den Iran)? Wegen eines möglichen Gesichtsverlustes ist die NATO/der Westen natürlich nicht bereit zuzugeben, dass man maßlos überzogen hat. Für mich bedeutet Diplomatie, dass man miteinander redet und der Gegenseite zuhört, wo sie welche Bedenken hat. Ist der Ausgang der Kubakrise schon vergessen, wo man sich zuhörte und aufeinander zuging? Musste Kennedy deswegen sterben? Das große Problem ist, dass der Westen die für Russland notwendige Defensivhaltung nur als Aggressivität sieht und dabei meint, nur er sieht alles richtig und alternativlos. Wer hat den USA und damit auch dem Westen das Recht gegeben zu meinen, dass nur sie alles richtig machen und die anderen grundsätzlich falsch liegen? Das ist den anderen gegenüber eine völlige und nicht gerechtfertigte Anmaßung. Aber die geostrategischen Interessen der USA sollten bekannt sein, und nur darum geht ihnen, sie wollen Weltherrschaft, die natürlichen Ressourcen Russlands selbst ausbeuten können und nehmen sich das Recht (das ihnen niemand verliehen hat), keinen Ebenbürtigen (Russland, China, Indien?) neben sich zu dulden. Anlässlich seines 300sten Geburtstages sei Kant mit seinem Wahlspruch zur Aufklärung erwähnt (und hier habe ich besonders unsere Regierung im Blick): „Sapere aude!“ - „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Es ist dringend notwendig, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen, zu reden und einander zuzuhören. Nur bei solcher Toleranz sind Kompromisse möglich. Es geht nicht nur um Menschenleben im derzeitigen Kriegsgebiet (lässt sich auch auf den Nahen Osten übertragen), sondern um das Überleben des gesamten Menschheit! Der ober erwähnte Gedanke Kants nochmals in seiner Vollständigkeit: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! …..“ Heute wie damals hoch aktuell!

Wolfgang Mengel, Stralsund, 24.04.2024

Hier können Sie Ihre Leserbriefe online aufgeben

Bitte beachten Sie, dass wir uns das Recht vorbehalten, im Falle des Abdruckens in der Zeitung, Textpassagen zu kürzen oder nachträglich zu ändern.